Die ungeheuerlichen Lügen der Simone de Beauvoir

Die Pariser Intellektuelle und Schriftstellerin Simone de Beauvoir schrieb eine Abhandlung über das Frausein mit dem Titel Das andere Geschlecht, die heute als das einflussreichste Werk der feministischen Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts gilt. Trotz zahlreicher Ungenauigkeiten und logischer Irrtümer haben Beauvoirs Behauptungen über die soziale Konstruktion von Geschlechtsunterschieden und das Anderssein der Frau einen tiefgreifenden deformierenden Einfluss auf alle nachfolgenden feministischen Theorien gehabt.

Simone De Beauvoirs 1949 in französischer Sprache veröffentlichtes und über 890 Seiten umfassendes Hauptwerk Das andere Geschlecht wurde von den wichtigsten amerikanischen feministischen Autorinnen Betty Friedan und Kate Millett als wichtiger Einfluss genannt. Dem Werk, das 1953 erstmals ins Englische übersetzt wurde (mit einer ausführlicheren, genaueren Fassung im Jahr 2009), wird die Einführung der viel verwendeten Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht und dem, was später als Geschlechtsidentität bezeichnet wurde, zugeschrieben – eine Unterscheidung, die heute bei Anti-Trans-Feministen für großen Unmut sorgt.

Beauvoirs Aussage zu Beginn des zweiten Bandes des Buches, dass “man nicht als Frau zur Welt kommt, man wird es”, gilt als der berühmteste feministische Satz, der je geschrieben wurde, und wurde von der Queer-Theoretikerin Judith Butler dafür gelobt, dass sie Weiblichkeit als einen Prozess des Werdens, als eine von einem kulturellen Skript geleitete Leistung und nicht als biologische Gegebenheit festlegt.

Beauvoir war die erste große Schriftstellerin, die den Feminismus in den Bereich der linken Hochtheorie einordnete, indem sie ihn neben die existenzialistischen und marxistischen Theorien stellte, die sie studierte und mit ihrem Gefährten, dem existenzialistischen Philosophen Jean-Paul Sartre. und anderen französischen Intellektuellen diskutierte. Beauvoirs Existenzialismus zeigt sich in ihrem Beharren auf der Wichtigkeit, authentisch und frei zu leben und nicht nach den von der Gesellschaft auferlegten kulturellen Sitten; der marxistische Einfluss zeigt sich in ihrem Beharren auf den Machtkämpfen zwischen Identitätsgruppen. 

Das andere Geschlechtist extrem detailliert, terminologisch ausgefeilt und voller Verweise auf literarische und psychoanalytische Texte, die sich zum Beispiel stark auf die Arbeit von Karen Horney stützen, einer Psychoanalytikerin, die Freud kritisch gegenüberstand. Beauvoir stellte die Transzendenz, mit der sie die schöpferische Selbstverwirklichung meinte, der Immanenz gegenüber, die sich auf die weltliche Aufrechterhaltung des physischen Lebens in Tätigkeiten wie der Haushalt bezog.

Ein riesiger Abschnitt über die Geschichte fasste die gesamte menschliche Entwicklung als “Triumph des Patriarchats” zusammen, wobei “der biologische Vorteil den Männern erlaubt, sich allein als souveräne Subjekte zu behaupten” (S. 102[1]). Die schiere Länge des Werks, sein Hauch von ätzender Gewissheit und seine universalistische Ausdehnung verliehen seinen Behauptungen über die psychosexuelle Entwicklung der Frau den Glanz von Autorität und intellektueller Ernsthaftigkeit.Doch vieles, ja sogar das meiste, was als Beweis präsentiert wird, ist trotz der zahlreichen Zitate lediglich eine anekdotische, subjektive Beschreibung, die den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, und basiert auf wenig mehr als selektiver Lektüre in Verbindung mit Beauvoirs persönlichen Überzeugungen und ätzenden Beobachtungen über die angebliche Verherrlichung der Männer auf Kosten der Frauen. Der lange Abschnitt über die Geschichte ist voller falscher Darstellungen, die zu zahlreich sind, um sie hier zu untersuchen, darunter Beauvoirs Zitat von Virginia Woolfs absurder Lüge aus A Room of One’s Own (Ein Zimmer für sich allein), dass “in England […] schreibende Frauen immer Feindseligkeit hervorgerufen [haben]” (S.145).

Im weiteren Verlauf dieser Analyse werde ich mich auf die Schlüsselkonzepte in Beauvoirs Text konzentrieren, die den Feminismus in der englischsprachigen Welt stark beeinflusst haben: der Begriff des Anderen, die Idee der sozialen Konstruktion von Weiblichkeit und die bittere Behauptung, dass die männliche Vorherrschaft in Sex und Familie verstärkt wird.

Beauvoirs vielleicht einflussreichste Formulierung – die in fast allen späteren feministischen Traktaten ad nauseum wiederholt wurde – lautete, dass die Frau das Andere des Mannes ist, das “Objekt” in Bezug auf sein “Subjekt”, das immer in Beziehung (und in Unterlegenheit) zum männlichen Geschlecht definiert wird. “Er ist das Subjekt; er ist das Absolute. Sie ist die Andere” (S. 11). Damit meinte Beauvoir nicht nur, dass die Frau als etwas anderes und geringeres als der Mann angesehen wurde, sondern auch, dass das männliche Geschlecht für das Menschliche stand, während das weibliche dies nie tat.

Wie Beauvoir in ihrer Einleitung erklärt: “In Amtsregistern und auf Personalbögen sind die Rubriken ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ nur der Form halber symmetrisch. Das Verhältnis der beiden Geschlechter ist nicht das zweier elektrischer Ströme, zweier Pole: der Mann vertritt so sehr zugleich das Positive und das Neutrale” (S. 10), wobei die Weiblichkeit immer durch ihre Differenz zum Männlichen definiert wird.

Das Selbst und das Andere seien gemeinsame, ja sogar unverzichtbare Bedeutungskategorien, räumte Beauvoir ein, aber die Position der Frau als Anderer unterscheide sich von der aller anderen “Anderen” – seien es Sklaven, Juden, Schwarze oder unterdrückte Arbeiter. Im Gegensatz zu diesen anderen hatten Frauen große Schwierigkeiten, sich als Subjekte zu etablieren, denn, wie sie erklärte:

“[Frauen] haben keine eigene Vergangenheit, Geschichte oder Religion. Sie bilden im Gegensatz zu den Proletariern keine Arbeits- und Interessengemeinschaft […].Sie leben verstreut unter den Männern, sind durch Wohnung, Arbeit, ökonomische Interessen und die soziale Stellung enger mit bestimmten Männern – sei es der Vater oder der Ehemann – verbunden als mit den anderen Frauen” (S.14), und so war ihr Weg zum freien Selbstsein mit weitaus größeren psychologischen und praktischen Schwierigkeiten behaftet als der jeder anderen unterdrückten Gruppe.

Beauvoir begnügte sich nicht mit der Behauptung, dass sich ein solcher Zustand im Laufe der Zeit auf natürliche Weise oder ohne bösen Willen seitens der Männer entwickelt habe. Sie hat gewiss nie zugegeben, dass sich soziale Vorkehrungen zum Schutz der Frauen oder zur Sicherung des menschlichen Wohlergehens in gefährlichen Zeiten hätten bilden können. Im Gegenteil, sie betonte, dass die Männer die Frauen unterdrückt haben, weil sie stärker waren, weil die Frauen an ihre Fortpflanzungsfunktion gebunden waren, was Beauvoir besonders verabscheute, wie wir noch sehen werden, und weil die Männer dominieren wollten und mussten: “Ein Vorteil, den die Unterdrückung den Unterdrückern verschafft, besteht darin, dass noch der Geringste von ihnen sich überlegen fühlt […] das minderwertigste männliche Wesen [hält sich] den Frauen gegenüber für einen Halbgott.” (S. 20).

Und weil sie sich auch vor den Frauen fürchteten, “organisier[t]en die Gesetzgeber ihre Unterdrückung”[2] (S. 106), und den Frauen wurde sogar das Wohlwollen verweigert, das man angeblich den Tieren entgegenbrachte. Der Rest des Buches Das andere Geschlecht ist die oft erboste Erklärung, wie es zu diesem Zustand kam.

Beauvoir war fast vierzig, als sie mit dem Schreiben von Das andere Geschlecht begann, und hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit bewusster Unkonventionalität gelebt, indem sie Heiratsanträge ablehnte, um ihre Freiheit zu schützen. Sie unterhielt gleichzeitig verschiedene sexuelle Beziehungen, unter anderem mit vielen wesentlich jüngeren Schülerinnen an den Schulen, an denen sie unterrichtete, die sie einem ihrer wichtigsten Weggefährten, Sartre, vorstellte.

Nur wenige Jahre bevor sie 1943 mit der Arbeit an Das andere Geschlecht begann, wurde Beauvoir vom Schuldienst suspendiert, nachdem die Eltern einer 17-jährigen Schülerin Anzeige gegen sie erstattet hatten, weil sie ihre Tochter verführt hatte; und einige ihrer jugendlichen Liebhaber unter den Schülern behaupteten später, die von der älteren Beauvoir initiierten Affären seien sexuell und psychologisch missbräuchlich gewesen.

Wie viele Intellektuelle waren auch Beauvoir und Sartre von den Ideen der kommunistischen Revolutionäre über die Umgestaltung der Gesellschaft und der menschlichen Natur beeindruckt und statteten der Sowjetunion und Maos China in den 1950er Jahren respektvolle Besuche ab. Später in ihrem Leben wurde Beauvoir abhängig von Alkohol und Drogen und starb schließlich im Alter von 78 Jahren an einer Alkoholkrankheit. Als ich meine Lektüre von Das andere Geschlecht beendete, war ich dankbar, dass Beauvoir nie Kinder hatte, an denen sie ihre monströsen Ideen hätte ausleben können.

Wie wir gesehen haben, haben Feministen seit langem, ohne den genauen Begriff zu verwenden, die soziale Konstruktion der Weiblichkeit postuliert und erklärt, dass Frauen viel mehr tun und sein könnten, als es ihnen derzeit möglich ist, sobald sie glauben, dass sie tun und sein können. Eine solche Erklärung für den Entwicklungsstillstand, die Frivolität und die mangelnden Fähigkeiten der Frauen wurde bereits von Mary Wollstonecraft[3] in ihrem Traktat A Vindication of the Rights of Woman (Ein Plädoyer für die Rechte der Frau) von 1792 angeboten und von John Stuart Mill in seinem pro-feministischen Traktat The Subjection of Women (Die Unterdrückung der Frau) von 1869 mit Nachdruck vertreten. Beauvoir formulierte die Theorie weitaus detaillierter und mit mehr intellektuellem Gerüst, als dies jemals zuvor versucht worden war.

Sie verbrachte Hunderte von Seiten damit, die Tatsachen der Biologie nicht rundheraus zu leugnen, sondern stattdessen – und das war ein wichtiger rhetorischer Schachzug, der von späteren Feministen sehr geschätzt wurde – zu behaupten, dass die Biologie an sich keine Bedeutung außerhalb der menschlichen Perspektive habe, die ihr Bedeutung verleiht. Als sie beispielsweise die Tatsache der schwächeren Muskulatur von Frauen erörterte, relativierte sie ziemlich unaufrichtig: „wenn das physiologisch Gegebene (etwa die geringere Muskelkraft) eine Bedeutung bekommt, wird sogleich deutlich, dass diese Bedeutung von einem ganzen Kontext abhängt: die ‚Schwäche‘ zeigt sich als solche nur im Licht der Ziele, die der Mensch sich setzt, der Instrumente, über die er verfügt, und der Gesetze, die er sich auferlegt.“ (S. 59).

Dies war eine verschnörkelte Phrase fast ohne Inhalt – natürlich hatte Schwäche in einem bestimmten Kontext eine Bedeutung – und bedeutete in der Praxis die radikale Verharmlosung der immensen Bedeutung der Biologie. Sie wiederholte, dass die Biologie nicht ausreicht, „um eine Antwort auf die Frage zu geben, die uns beschäftigt: warum ist die Frau das Andere?”. (S. 61)

Beauvoir interessierte es nicht so sehr, wie die Natur die Kultur beeinflusst hatte: Die Frage war für sie, was die Kultur aus der Natur gemacht hatte, und das erklärte sie für vorrangig (S,61). Diese Perspektive führte zu ihrer berühmt gewordenen Formulierung: “Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (S. 334)

Beachten Sie die Wortwahl: Frau, nicht: eine Frau. Jedes weibliche Kind, das zu einer Erwachsenen heranwächst, wird per Definition zur Frau; oder tat es vor der Trans-Ideologie. Aber “Frau” als Konzept ist das Ergebnis eines kulturellen Prozesses.

Der lange zweite Band von Beauvoirs Buch, der den Titel “Gelebte Erfahrung” trägt, ist eine einflussreiche Erzählung über das Anderswerden bzw. -Machung („othering“) des weiblichen Kindes. Beauvoir behauptete: ” Wenn das Mädchen uns dennoch lange vor der Pubertät und manchmal schon in der frühesten Kindheit als geschlechtlich spezifiziert erscheint, so nicht, weil geheimnisvolle Instinkte es unmittelbar zur Passivität, zur Koketterie, zur Mutterschaft drängen, sondern weil […] seine Berufung ihm schon in den ersten Jahren unabweislich eingetrichtert wird.” (S. 334). Durch ihre überspitzte Sprache (“unmittelbar drängen “) leugnet sie im Wesentlichen den Instinkt und die gesamte biologische Grundlage für geschlechtliches Verhalten.

(Eine vollständige Entlarvung von De Beauvoirs These findet sich übrigens in Steven Rhoads’ Taking Sex Differences Seriously (2004), das einen Berg wissenschaftlicher Beweise für die biologische Grundlage der Geschlechtsunterschiede vom Säuglingsalter an zusammenstellt).

Von diesem Punkt an schwelgte Beauvoir in ihren weitreichendsten und oft erzwungenen Behauptungen. So räumte sie zum Beispiel ein, dass Jungen in der Familie fast immer strenger behandelt werden als Mädchen, dass sie härter bestraft werden und dass die Bandbreite der akzeptablen Emotionen und Ausdrucksmöglichkeiten viel begrenzter ist. Doch für Beauvoir war dies lediglich ein deutliches Zeichen für die kommende Privilegierung des Jungen: “wenn der Knabe zunächst weniger begünstigt scheint als seine Schwestern, so nur, weil man größere Pläne mit ihm hat. Die Ansprüche, die an ihn gestellt werden, implizieren eine unmittelbare Wertschätzung. ” (S. 336).

 Hätte sie festgestellt, dass Mädchen härter behandelt werden, wäre das ein Beweis dafür, dass Mädchen weniger wertgeschätzt werden; aber die harte Behandlung von Jungen wird zum Beweis für deren höhere Wertschätzung. Das ist die konsequente Unlogik, die von Beauvoirs vorbestimmter Schlussfolgerung diktiert wird.

Jedes Detail in diesem Abschnitt, der sich stark auf die postfreudianische Theorie stützt, wird in ähnlicher Weise manipuliert, um ihre a priori Schlussfolgerung zu bestätigen. Als Entschädigung für den Verlust des mütterlichen Körpers wird den Jungen angeblich beigebracht, stolz darauf zu sein, einen Penis zu haben, den sie als Instrument ihres Willens manipulieren können, indem sie goldene Bögen durch die Luft schicken.

Das Mädchen hingegen wird dadurch gedemütigt, dass es zum Pinkeln in die Hocke gehen muss, schämt sich für seinen Körper, macht sich ängstlich Gedanken über seine versteckten Geschlechtsorgane und ist angeblich entsetzt über das Einsetzen seiner Menstruation.

Während ein Junge die Lektionen der Gewalt, des Wettbewerbs, des Wagemuts und der Herausforderung lernt, wird das Mädchen im Gegensatz dazu gelehrt, „dass sie, um zu gefallen, zu gefallen suchen (…) muss” (S. 347). Die Bedeutung des Selbstseins des Mädchens konzentriert sich mehr und mehr darauf, für andere zu sein; der Junge hingegen lernt, für sich selbst zu sein. Während der Junge auf eine Zukunft der angeblichen Selbstverwirklichung durch Arbeit blickt, sieht das Mädchen nur der unkreativen Plackerei von Hausarbeit und Kindererziehung entgegen (Männerarbeit ist offenbar nie Plackerei).

Mit sechzehn weiß das Mädchen, dass es niemals großartig oder gar gut sein kann, weil seine Erfahrungen es deformieren. “Schon die Tatsache, dass sie ihre Monatsbinden verstecken und ihre Regel verbergen muss, zieht Lügen nach sich.” (S. 435), so Beauvoir.

Das Problem dieses letzten und vieler ähnlicher repräsentativer Details ist ein zweifaches: Das Detail wird in einer Art und Weise dargestellt, die die proportionalen oder größeren Behinderungen, die Jungen erfahren, wie das Wissen, dass ihr Leben in Kriegszeiten weniger wert ist als das Leben von Frauen, von der Betrachtung ausschließt. Vielleicht noch sträflicher ist, dass die Bedeutung des als schlüssig dargestellten Details nicht universell ist. In vielen alten und modernen Kulturen wird das Einsetzen der Menstruation nicht mit Schrecken, sondern mit Freude oder zumindest mit Genugtuung aufgenommen.

Für mich persönlich deckt sich fast nichts in Beauvoirs Beschreibung des weiblichen Aufwachsens mit meinen eigenen Erfahrungen.

Die besondere Abscheu, die Beauvoir gegenüber dem Kinderkriegen und der Kindererziehung zum Ausdruck bringt, von der sie sagt, dass sie die Frauen “der Wiederholung, der Routine preisgibt” (S. 605), und ihre uneingeschränkte Bejahung der Abtreibung sind vielleicht die eklatantesten Beispiele für Beauvoirs Unehrlichkeit in einer Abhandlung, die niemals den Wunsch und die Freude der meisten Frauen an der Mutterschaft anerkennt. In ihrem Kapitel über “Die Mutter” konzentrierte sie sich stattdessen fast ausschließlich auf die Mutterschaft als Last und schilderte sogar mit scheinbarem Vergnügen den Hass, den manche Frauen für ihre Kinder empfanden.

In Bezug auf die Heterosexualität war Beauvoir ebenso vernichtend und ungerecht, da sie argumentierte, dass der sexuelle Akt die männliche Dominanz verkörpere. Sie stellte zum Beispiel fest: “der Mann [wählt] die Stellungen, er bestimmt Dauer und Häufigkeit des Koitus. Sie fühlt sich als Werkzeug: alle Freiheit liegt beim anderen”.

Selbst die Sprache verweigerte angeblich die Gegenseitigkeit: “Der Mann holt sich seine Lust bei ihr, und er verschafft ihr welche” (S. 468, Betonung im Original). Der aufschlussreichste Moment in Beauvoirs Anti-Sex-Predigt war, als sie den Mann geißelte, der nach dem Sex fragte, ob seine Partnerin einen Orgasmus erlebt habe. Hier ist ihre Analyse der angeblichen Bedeutung der Frage:

“‘Ist es genug? Willst du noch? War es gut?‘ Schon die Tatsache, dass eine solche Frage gestellt wird, offenbart die Trennung, verwandelt den Liebesakt in einen mechanischen Vorgang, der vom Mann gesteuert wird. Und genau darum stellt er sie. Mehr als die Verschmelzung und die Wechselseitigkeit sucht er die Beherrschung. Wenn die Einheit des Paars sich auflöst, findet er sich als einziges Subjekt wieder (…) Dem Mann ist es nur recht, wenn die Frau sich erniedrigt, gegen ihren Willen in Besitz genommen fühlt. Er will sie immer etwas mehr, als sie sich ihm gibt” (S. 484).

An dieser Stelle des Buches kann man nur zu dem Schluss kommen, dass Beauvoir entweder absichtlich unehrlich war oder sich der Illusion hingab, dass die Fragen des Mannes ein heimtückischer Versuch waren, die Frau zu demütigen und zu entmachten, deren Gefühle ihm nur scheinbar wichtig waren. Nichts könnte grotesk zynischer sein.

Die Tatsache, dass Beauvoirs Buch als endgültig verkündet und seine bissigen Behauptungen als weise Erkenntnisse gefeiert werden, zeugt von der erschreckenden Verführungskraft ihrer bitteren Weltsicht. Beauvoir gilt bisweilen als Meisterin der aphoristischen Äußerung, aber ihr berühmter Satz “Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es” ist bei näherer Betrachtung ziemlich banal, da es keinen notwendigen Widerspruch oder gar eine Spannung zwischen der Geburt mit einer bestimmten biologischen Ausstattung und der Entwicklung zur reifen Form des eigenen Wesens gibt. Obwohl sie kaum mehr tat, als leicht zu widerlegende Behauptungen über das Anderssein aufzustellen, wurden Beauvoirs Vorstellungen allzu oft als unfehlbar rezipiert.

Der wichtigste Gedanke, den Beauvoir in den Feminismus einbrachte, war die falsche Behauptung, dass der Ausschluss der Frauen von der Selbstverwirklichung letztlich in frauenfeindlichen Mythen und Vorstellungen vom Frausein wurzelt und dass solche Vorstellungen selbst bei vollständiger politischer und rechtlicher Gleichstellung weiterhin ihre unsichtbare, aber bösartige Macht behaupten würden. Dies war ein Geschenk an die feministischen Aktivisten, das nie mit dem Schenken aufgehört hat und garantierte, dass es immer möglich sein würde zu behaupten, dass mehr getan werden muss, um Frauen bei der Überwindung der unermesslichen Feindseligkeit einer von Männern geschaffenen Welt zu helfen. In diesem Sinne sind fast alle Feministen die Erben der ungeheuerlichen Lügen von Simone de Beauvoir.

[1]Anm. des Übersetzers: die Seitenzahlen beziehen sich auf die Kindle-Ausgabe der dt. Übersetzung (Rowohlt)
[2] Hier zeigen sich die Tücken einer ideologischen Übersetzung. Im Original heißt es: “Organisant l’oppression de la femme, les législateurs ont peur d’elle”, im Englischen (übersetzt von Constance Borde und Sheila Malovany-Chevallier): „Afraid of woman, legislators organize her oppression“. Im Deutschen (Rowohl) jedoch: „Während die Männer die Unterdrückung der Frau festschreiben, haben sie Angst vor ihr“; die Übersetzerin (Uli Aumüller) hat also aus der Berufsklasse der Gesetzgeber (geschlechtsneutral) alle Männer gemacht – eine offenkundig präjudizierte Verdrehung. Ich habe hier die sachliche richtige (meine) Übersetzung genommen.
[3]>Mary Wollstonecraft (1759-1797); zunächst Schulleiterin und Gouvernante, dann Lektorin und Schriftstellerin; verheiratet mit dem englischen Schriftsteller William Godwin; Vorkämpferin der Frauenemanzipation und der Volkserziehung.

Zur Person
Janice Fiamengo wurde in Vancouver geboren und an der University of British Columbia ausgebildet. Sie war zwanzig Jahre lang Professorin für Englisch an der University of Saskatchewan und der University of Ottawa, Kanada. Während dieser Zeit veröffentlichte sie zahlreiche Bücher über Frauenliteratur und kanadische Literatur. Seit 2015 schreibt und produziert sie The Fiamengo File (das Fiamengo-Dossier, Teil 1 hier), eine Reihe von Videos über Männerthemen und Feminismus. Diese Reihe wurde von YouTube zensiert und gelöscht und konnte nur teilweise wieder hergestellt werden. In 2022 begann sie eine verwandte Videoserie (Fiamengo File 2.0) über die Geschichte des Feminismus, deren Texte wir hier größtenteils in Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Autorin wiedergeben.

© Janice Fiamengo 2015-2023, alle Rechte vorbehalten, insbesondere aber nicht nur die des deutschen Urheberrechts. Vervielfältigung dieser Übersetzung nur nach Rücksprache mit mir (Tom Todd) oder der Autorin (Email an Janice Fiamengo) unter Nennung der Quelle (“Erschienen zuerst auf Geschlechterwelten.de”).
Übersetzung © tom todd

2 Kommentare zu „Die ungeheuerlichen Lügen der Simone de Beauvoir

  1. Vielen Dank für diesen Einblick in die Entwicklungsgeschichte der feministischen Ideologie.
    Eine Frage zum Text, deren Klärung sich mir auch nicht aus dem originalen Video ergibt. Im Text heißt es:
    Sie unterhielt gleichzeitig verschiedene sexuelle Beziehungen, unter anderem mit vielen wesentlich jüngeren Schülerinnen an den Schulen, an denen sie unterrichtete, die sie einem ihrer wichtigsten Weggefährten, Sartre, vorstellte.

    Hier erschließt sich ja ihr päderastisches Wirken, aber was ist mit “Vorstellen” gemeint? Hat sie die Schülerinnen für Sartre “akquiriert” wie Maxwell für Epstein, hat sie ihm die Schülerinnen “nur” überlassen, hat sie zusammen mit Sartre sexuell “praktiziert” oder/und hat sie sexuellen Vorgängen mit den Jugendlichen durch Sartre beigewohnt?

    Mich interessiert das besonders, da ich aufgrund eigener Erlebnisse die pädophilen und päderastischen Tendenzen von Frauen im Rahmen von Feminismus näher ergründen möchte.
    Mein Verdacht ist, dass häufig sexuelle Lust jenseits der unmittelbaren fleischlichen Aktion generiert wird, wie das bei Männern üblich ist.

    Gibt es da Quellen dazu? Schließlich haben weiblichen Feministen offenbar damals aus ihren sexuellen Praktiken mit Jugendlichen keinen Hehl gemacht.

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